Zuhören ist nicht gleich Zuhören, oder: Wie hören Sie Ihrem Gegenüber zu?

Kürzlich bei einem Teamentwicklungs-Workshop: Wir haben bereits ein paar Stunden gemeinsam gearbeitet, da ergriff plötzlich ein Teilnehmer das Wort und äusserte, er wolle nun endlich mal etwas sagen, was schon sehr lange in ihm brodelt. Er finde es sei eine Zumutung, dass einige im Team immer wieder nicht zur Arbeit erscheinen würden – aus welchen Gründen auch immer – und damit aus seiner Sicht das Team im Stich liessen. Eine Aussage, die schnell zu einer schwierigen Situation führen könnte, wenn man diese z.B. als Konfrontation oder Angriff auffasst oder «das heraushört». Denn wie wir etwas Gesagtes verstehen, ist Teil unserer Art des Zuhörens.

Entsprechend hat die Art, wie wir unserem Gegenüber zuhören, einen grossen Einfluss auf die Qualität unserer Beziehungen und in welche Richtung sich ein Gespräch entwickelt – von gelangweilt bis inspiriert oder ob wir in der Lage sind, gemeinsam kreativ zu werden und etwas zu gestalten. Das bedeutet: Mit einem zunehmenden Aufmerksamkeitsgrad steigt die Qualität des Zuhörens. Aber nun eins nach dem anderen.

Die vier Ebenen des Zuhörens (nach Otto Scharmer)

Otto Scharmer, deutscher Ökonom, Dozent am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge und Begründer der U-Theorie, differenziert in seinen Ausführungen vier Ebenen des Zuhörens, welche – wie angedeutet – vom Grad unserer Aufmerksamkeit abhängen. Im hektischen Alltag geschieht es häufig, dass wir nur halb hinhören, scheinbar zuhören, was unser Gegenüber sagt, oder gleichzeitig etwas anderes tun. Dies hat damit zu tun, dass wir automatisch unsere vergangenen Erfahrungen in das Erzählte hineinprojizieren, oft eigentlich selbst beginnen wollen zu reden, abgelenkt sind und oder schlicht nicht aufmerksam genug und wirklich zugewandt sind. In diesem Fall spricht Otto Scharmer vom gewohnheitsmässigen Zuhören. Man könnte es auch als scheinbares Zuhören bezeichnen.

Die Ebene des faktischen Zuhörens

Auf der zweiten Ebene verändert sich bereits etwas Wesentliches. Wenn wir eine Stufe aufmerksamer sind, können wir beobachten, wie unser Verstand ständig über alles urteilt, was wir hören. Und doch kann es gelingen, in einem Moment des Nicht-Urteilens uns für die Fakten des Erzählers zu öffnen, auch wenn wir nicht gleicher Meinung sind. Da wir seit unserer Kindheit jedoch gewohnt sind, ständig alles zu beurteilen – «das mag ich oder das mag ich nicht» –, können wir nur bei erhöhter Aufmerksamkeit ungestört die Botschaft des Sprechenden «ungefiltert» aufnehmen. Scharmer bezeichnet dies als faktisches Zuhören.

Emotionales Zuhören: Empfindungen oder Bedürfnisse hinter dem Gesagten erkennen

Wenn der Zuhörer sich auch emotional auf den Sprechenden einlässt, emphatisch zeigt und öffnet, bezeichnen wir dies als empathisches Zuhören. Der Zuhörer nimmt dabei nicht nur die Fakten wahr, sondern ist in der Lage, sich in die emotionale Situation des Sprechenden zu versetzen. Der Zuhörende nimmt nicht nur wahr, was inhaltlich gesagt, sondern auch wie es gesagt wird (nonverbale Kommunikation) bzw. welche Gefühle damit zum Ausdruck kommen. Durch gezieltes Nachfragen vergewissert sich der Zuhörende beim Gegenüber. In anderen fachlichen Abhandlungen wird diese Form wird auch emotional aktives Zuhören genannt.

In diesem Zustand des Hinhörens können wir gemäss Marshall Rosenberg, dem Initiator der Gewaltfreien Kommunikation, die unsichtbaren Anliegen und Bedürfnisse des Gegenübers erkennen. Die gelingt nur, wenn wir uns für einen Augenblick von unseren eigenen Ansichten lösen und in die Situation des Gegenübers «hineinspüren», sozusagen zwischen die Zeilen hören.

Der Wechsel bzw. Shift vom faktischen zum empathischen Zuhören ist anspruchsvoll, weil damit auch eine Entwicklung der inneren Haltung notwendig einhergeht. Es ist eine Bewegung vom ICH zum DU, welche dazu führt, dass die andere Ansicht nicht mehr bekämpft werden muss. Ich erkenne als Zuhörende/r die Bedürfnisse hinter dem Gesagten. Rechtfertigungen entfallen.

Forschen nach dem Bedürfnis hinter dem Gesagten

In dem anfangs erwähnten Beispiel hat die Aufforderung ans Team, sich nicht auf die Aussage an sich zu fokussieren, sondern nach dem Bedürfnis zu forschen, die hinter dieser Aussage stecken könnte, einen sehr kreativen gemeinsamen Prozess ausgelöst – der sogar zu einer neuen Regelung im Team geführt hat. Kurz gesagt: Das angetönte Werteurteil wurde in ein Bedürfnis des Sprechenden (Unterstützung, Erholung, Ruhe…) übersetzt, um so ein Zuhören seitens der anderen Teammitglieder zu ermöglichen. Dadurch konnte sich Verständnis für den Sprechenden bilden, das Gesagte wurde nicht wie gewohnt urteilend aufgenommen, die Zuhörenden fühlten sich weniger angegriffen – fühlten sich sogar inspiriert und konnten dadurch neue Lösungen erarbeiten zu finden.

Wenn Zuhören schöpferisch wird – Scharmer geht noch einen Schritt weiter…

Das angesprochene Beispiel weist zudem in Richtung vierte Ebene der U-Theorie («Von der Zukunft her führen»). Scharner bezeichnet diese als schöpferisches oder offenes Zuhören. Schöpferisches Zuhören kann nicht erzwungen werden, es kann nur ein geeigneter Rahmen hierfür geschaffen werden. Die zentrale Voraussetzung ist Stille. Durch unsere volle Aufmerksamkeit können wir einen Raum kreieren, in welchem die höchste Zukunftsmöglichkeit erahnt werden kann. In einem Zweiergespräch kann dies das Potenzial des Sprechenden sein, innerhalb einer Projektgruppe sind dies spontane Ideen, welche uns auf einmal zufallen. Der Zuhörende verbindet sich hierbei automatisch mit dem höchsten Zukunftspotenzial des Sprechenden, indem er ohne jegliche Absicht zuhört und in keiner Weise interveniert, auch nicht empathisch. Stattdessen schafft er durch seine Präsenz einen Raum für das, was sich (aus der Zukunft) entwickeln und entfalten möchte. Wie ist das möglich?

Wie hören Sie zu?

Wenn wir den Blick auf gegenseitiges Verstehen werfen, wird klar: Die Art des Zuhörens ist mitverantwortlich, wie sich das Gespräch entwickelt. Das zeigt sich auch immer wieder sehr eindrücklich in unseren Coachings, Mediationen oder Teamprozessen.

Auf welcher Ebene kommunizieren Sie mehrheitlich? Wie hört Ihr Team sich gegenseitig zu? Benötigen Sie einen «Kommunikationsspiegel», um Ihr Zuhören zu erforschen? Probieren Sie es einfach mal aus… und selbstverständlich bieten auch wir gerne unsere Unterstützung an.